KI-gesteuertes Coaching

Die Integration von künstlicher Intelligenz (KI) in das Business-Coaching ist Realität geworden. Während die KI anfangs nur unter­stützende Aufgaben über­­nommen hat, gibt es in­zwi­schen sogar Lösungen, bei denen ein KI-gesteuerter Coaching-Avatar den mensch­lichen Coach komplett ersetzt.

Als der Name von Satya Nadella, dem berühmten Microsoft-Chef, fiel, wurde es plötzlich andächtig still. In einem schicken Berliner Tagungsraum war der digitale Coaching-Provider "Coach-Hub" gerade dabei die neueste Version seines Coaching-Bots "Aimy" vorzustellen. Coach-Hub-Gründer Matti Niebelschütz, der aus New York per Video zugeschaltet war, erklärte, dass Aimy jetzt einen menschlichen Coach ersetzen könne, unter anderem weil der Bot mit Hilfe von Profis der Softwareschmiede Microsoft in Sachen künstlicher Intelligenz aufgepeppt worden sei. Niebelschütz: "Unsere Entwicklerteams arbeiteten Hand in Hand." Die Frage, ob Aimy künftig in Microsoftanwendungen wie "Teams" eingebunden wird, wurde nicht beantwortet. Offiziell half Microsoft mit seiner technischen Power lediglich dabei, Aimy zu trainieren.

Ein zweites Mal wurde es im Publikum merkbar still, als Niebelschütz eine am Vortag aufgezeichnete Coaching-Sitzung mit Aimy vorführte. Er gab an, Probleme damit zu haben, eine anstehende Präsentation nach den Regeln des Storytellings verpacken zu können. Aimy fragte ihn, wie sehr er – auf einer Skala von eins bis zehn – glaube, dass ihm in der verbleibenden Zeit noch eine inspirierende Geschichte einfallen werde. Die Antwort war "acht" und Aimy fragte, ob sie mit ihm darüber nachdenken solle, wie er es auf die Stufe "neun" schaffen könne. Die Coaches im Publikum hatten das Gefühl, Steve de Shazer, dem Erfinder der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, bei der Arbeit zuzuhören. Mittels einer Skalierungsfrage schaffte er es in seinen Sitzungen standardmäßig, von einem Problemgespräch in ein Lösungsgespräch zu wechseln.

So entsteht ein KI-Coaching-Bot

Aimy ist ein Coaching-Roboter (Bot), der in Gestalt eines Avatars mit Berufstätigen mündlich ein sinnvolles Coaching-Gespräch führen kann, ohne dass ein menschlicher Coach involviert ist (Stand-alone-Lösung). Der Klient (Coachee) bestimmt das Geschlecht, das Aussehen, die Stimme und den Coaching-Stil (zum Beispiel eher sachlich oder eher emotional) des Avatars. Um einen Coaching-Bot zu erzeugen, muss man bei einem Softwareunternehmen wie "Open AI" eine künstliche Intelligenz kaufen, die durch maschinelles Lernen erzeugt wurde. Ein Beispiel dafür ist die KI "Chat GPT", ein Sprachmodell, das durch das Training mit riesigen Textmengen aus dem Internet eigenständig die Regeln einer Sprache beherrscht. Um zu einem funktionstüchtigen Coaching-Bot zu kommen, muss man Chat GPT jetzt noch "prompten". Das heißt, man befiehlt dem Bot, die gängigen Gesetze des Business-Coachings zu beachten und sich zum Beispiel Ratschläge zu verkneifen. Zu diesem Feintuning gehörten laut Leonie Grandpierre, Senior Behavioural Scientist bei Coach-Hub, dass man sich am "Framework" für AI-Coaching orientierte, das von Nicky Terblanche entwickelt wurde. Terblanche ist Associate Professor in Leadership Coaching an der Business School der Universität Stellenbosch in Kapstadt, Südafrika. Er ist Gründer des Coaching-Bots "Coachvici.­com". Der arbeitet auf der Basis des Grow-Modells des Coaching-Pioniers John Whitmore an Zielen und ihrer Umsetzung. 

Bereits vor dem offiziellen Start kann Aimy auf mehr als 20.000 Coaching-Interaktionen mit Berufstätigen zurückblicken, die das Gespräch als "persönlich und beruflich relevant" empfunden haben. Allerdings wurde Coach-Hub bei der Aimy-Präsentation nicht müde darauf hinzuweisen, dass das KI-Coaching erst am Anfang seiner Möglichkeiten stehe. So werde das Coaching von Topmanagern und -managerinnen, die von inneren Konflikten zerrissen seien, derzeit noch keiner KI anvertraut. Beim Feintuning von Aimy sei es in erster Linie "nur" darum gegangen, dass man Chat GPT die Modelle des "lösungsorientierten Coachings" und des "zielorientierten Coachings" beigebracht habe. Der große Vorteil der Lösungsorientierung bestehe nämlich darin, dass der auf diese Weise erzeugte Coaching-Bot nicht in das geschilderte Problem eintauchen muss, sondern sofort nach der Wendung zum Besseren fragt. Es reicht, wenn er bei alltäglichen Problemstellungen Was-wäre-wenn-Fragen stellt, alternative Wirklichkeitskonstruktionen anbietet und durch einen strukturierten Ansatz zu realistischen Schritten zum Ziel führt. Aimy sollte laut Coach-Hub bei "überschaubaren Herausforderungen des Berufsalltags" zum Einsatz kommen. Folgerichtig wirbt man dafür, dass die Personalabteilung eines Unternehmens Aimy in erster Linie sowohl bei Auszubildenden als auch bei jungen Führungskräften einsetzen möge. 

Tipps, wie Sie aus Chat GPT einen Coach machen:

Die künstliche Intelligenz Chat GPT muss mittels Prompt gesagt bekommen, wie professionelles Coachen geht. Hier erhalten Sie eine Kurzanleitung, die unter den im Beitrag beschriebenen Bedingungen erste Erfolge im Gespräch mit einem Coaching-Bot liefern kann.

Bereits im Jahr 2024 gewann ein anderer Standalone­-Coaching-Bot einen "HR Innovation Award". In der Kategorie "Learning & Development" holte sich die Berliner Stella­ Coaching GmbH mit ihrem virtuellen Coaching-Avatar "Stella" den ersten Platz. Als Grundlagen für das Stella-Konzept wurden die "positive Psychologie" und die "systemische Sichtweise" angegeben. Außerdem sei Stella mit folgenden Modellen trainiert worden: Big-Five-Persönlichkeitsmodell, Wertecheck, Gallup Strengthsfinder, Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun, systemische Fragetechniken, gewaltfreie Kommunikation, neurolinguistisches Programmieren und die Ich-Zustände der Transaktionsanalyse. Ähnlich wie Aimy sollte auch Stella zum Coaching von Auszubildenden und dem Führungsnachwuchs eingesetzt werden.

Coaching: Warum Chat GPT alleine nicht reicht

Bei der Aimy-Präsentation in Berlin wurde die Frage gestellt, warum ein x-beliebiger Mensch nicht einfach die Gratisversion von Chat GPT auffordern sollte, mit ihm wie ein Coach zu sprechen. In dem allerersten Prompt könnte dann die Aufforderung stehen: "Du bist mein Coach. Orientiere dich an der lösungsorientierten Beratung und hilf mir, meine Lösung selbst zu entwickeln. Verzichte auf Ratschläge, erlaube dir höchstens hin und wieder einen kleinen Stupser. Lass mir Zeit, frage mich nach meinem Anliegen und beende das Gespräch mit kleinen Aufgaben zum Denken oder Machen." Dieser Prompt wurde von Johannes Thönneßen, Geschäftsführer der MW-Online GmbH, in seinem MWonline-Newsletter veröffentlicht. Der skeptische Diplom-Psychologe war vom Ergebnis seines spontanen Chat-GPT-Coachings durchaus überrascht und berichtete davon, gleich einen ersten Schritt getan zu haben, auf den ihn sein KI-Coach gebracht habe. 

Chat GPT einfach ohne Vorbereitung als Gratis-Coach zu nutzen, davor warnt allerdings Leonie Grandpierre. Zwar habe die KI auf ihren Streifzügen durch das Internet viel über Coaching erfahren, aber ihr fehlten wissenschaftlich unterfütterte Coaching-Regeln, um sich wie ein professioneller Coach zu verhalten. Oft falle Chat GPT in der Praxis schnell wieder aus der Coaching-Rolle heraus – was für den User sehr frustrierend sei. Konkrete Nachteile entdeckte die Hochschule Luzern, die ein Projekt der Peterskapelle in Luzern auswertete. In der Kapelle konnten Menschen einem KI-Jesus Fragen stellen. Jede Frage wurde an Chat GPT geschickt, wobei jeweils folgender Prompt vorangestellt wurde: Du bist Jesus Christus und trittst als Seelsorger auf. Du beantwortest Fragen kurz und bietest Beratung und Unterstützung. Passagen aus dem Neuen Testament leiten deine Antworten. Zwar habe der KI-Jesus oft sehr originelle zum jeweiligen Problem passende Bibelzitate ausgewählt, aber genauso oft habe Chat GPT einfach nur salbungsvoll geplaudert und unpassende Rückfragen gestellt. Gelegentlich habe der KI-Jesus auch angefangen, über sich in der dritten Person zu sprechen.

Die KI wird im gesamten Coaching-Prozess gebraucht

Anke Paulick, langjährige KI- und Coaching-Expertin und President Elect des deutschen Chapters der International Coaching Federation (ICF), fordert Personalentwicklungsprofis und Coaches dazu auf, die KI zu "umarmen", statt sie zu verdammen. Beim Umarmen sollte man allerdings beachten, dass es nicht nur das reine KI-Coaching mittels Avatar gibt, sondern auch eine KI, die im Coaching-Prozess "nur" ein Werkzeug des menschlichen Coaches ist. Diese Art von unterstützender KI wird laut Beobachtung der Coaching-Verbände heute schon von Business-Coaches recht intensiv dazu genutzt, um Coaching-Sitzungen vorzubereiten, um während einer Sitzung Anregungen quasi zugeflüstert zu bekommen und um bei der Nachbereitung dem Klienten einen gewissen Service zu bieten.

Zur Vorbereitung gehört, dass die KI Routineaufgaben wie die Terminvereinbarung und mögliche Terminverschiebungen automatisiert. Sie kann auch die Analyse der Bedürfnisse der Klienten übernehmen und bei der Definition des Coaching-Ziels eine führende Rolle übernehmen. Überraschend viele Unternehmen lieben Persönlichkeitstests, auch wenn manche kein wissenschaftliches Fundament haben. Diese Tests können mittels KI vorab durchgeführt und ausgewertet werden. Die KI könnte stattdessen aber auch die Linkedin-Präsenz eines Klienten analysieren und so vorab ein Profil von ihm erstellen, dass dann als Hintergrundinformation dem Coach zum Beispiel für die Gesprächseröffnung zur Verfügung steht. 

Wenn es in einer Coaching-Stunde zu einer Kombination aus KI-gestütztem und menschlichem Coaching kommt, spricht man laut ICF vom "Blended KI Coaching" oder auch vom "Human-in-the-Loop-Ansatz". Die KI wird dabei zwingend durch eine menschliche Kontrolle ergänzt. Bei der Durchführung einer Eins-zu-eins-Coaching-Stunde kann je nach Abstimmung mit dem Klienten die KI im Hintergrund mithören und dem Coach verdeckt (schriftlich) weiterführende Fragen vorschlagen. Auch entdeckt die KI gerne Verhaltens- oder Gesprächsmuster, die dem menschlichen Coach ergänzend zu seiner Wahrnehmung mitgeteilt werden. Wenn in einer Coaching-Sitzung dem Klienten keine Antwort auf die Frage "Was genau könnten Sie jetzt als nächstes tun?" einfällt, könnte sich die KI einschalten und mehrere mögliche Antworten zur freien Auswahl anbieten. Der Nutzen der KI besteht schließlich darin, dass sie Zugang zu umfangreichen Datenmengen hat, aus denen sie bei Bedarf auf einen Einzelfall zugeschnittene Empfehlungen herleiten kann. Auch ganz generell ist die KI sehr gut zu gebrauchen, um Ideen zu entwickeln – zum Beispiel Ideen, wie jemand seine Stärken besser in seinem Beruf einbringen kann. Der entsprechende Prompt könnte lauten: "Erstelle eine Liste mit umsetzbaren Ideen, wie ich mein Bedürfnis A in meinem Beruf B ausleben kann." Wenn die KI erst einmal ein paar Ideen geliefert hat, kann das die Initialzündung sein, dass dem Klienten selbst auch konkrete Ideen kommen oder er sich zumindest traut, in alle möglichen Richtungen zu assoziieren.

Zur Nachbereitung gehört, dass die KI motivierende Fortschrittsberichte an den Klienten schreibt, personalisierte Lernpfade vorschlägt und zwischen den Coaching-Sitzungen einfache Fragen beantwortet oder konkrete Übungen anbietet. Deren Erledigung kann dann die KI einfordern - zum Beispiel mit Push-Benachrichtigungen auf dem Smartphone. Auch Folgendes ist denkbar: Eine Führungskraft mit Angst vor aufmüpfigen Untergebenen nutzt einen Coaching-Bot, um schwierige Gespräche in der Form eines Rollenspiels einzuüben – natürlich mit sofortigem Feedback durch die KI. Der entsprechende Prompt sollte unbedingt Angaben zur Persönlichkeit der schwierigen Person machen, die Rollen der beiden Gesprächspartner im beruflichen Umfeld beschreiben und etwas über den bisherigen Kommunikationsverlauf offenlegen. Zur Nachbereitung gehört auch, dass ein menschlicher Coach regelmäßig seine Fälle mit einem Supervisor bespricht. Hierbei sollte die KI das Gespräch unbedingt aufzeichnen, zusammenfassen und sorgfältig analysieren, um sicherzustellen, dass der Coach genügend Material hat, um über sein Verhalten im Coaching-Prozess und die Reaktionen des Klienten auf seine Interventionen nachzudenken.

Tipps, wie Sie aus Chat GPT einen Coach machen:

Die künstliche Intelligenz Chat GPT muss mittels Prompt gesagt bekommen, wie professionelles Coachen geht. Hier erhalten Sie eine Kurzanleitung, die unter den im Beitrag beschriebenen Bedingungen erste Erfolge im Gespräch mit einem Coaching-Bot liefern kann.

Kann Chat GPT auch ein "Inneres Team" zusammenstellen?

Viele Coaches versuchen neuerdings auch, ihre am häufigsten benutzten Tools in die KI zu überführen. Zum Beispiel nutzt Stefanie Düll, systemischer Coach aus Nürnberg, gerne das Tool des "Inneren Teams". Düll entschloss sich im Rahmen einer Studie mit 19 Teilnehmenden nachzuweisen, dass die KI den ersten Teil der Arbeit mit dem "Inneren Team" ganz ohne Anwesenheit eines menschlichen Coaches erledigen kann. Dazu wurde eine öffentlich verfügbare KI wie Chat GPT so gepromptet, dass sie durch systemische Fragen vier bis sechs Persönlichkeitsanteile eines Klienten herausarbeiten kann. Die Anteile mussten jeweils einen Namen erhalten und ihre spezielle Botschaft sollte klar sein. Nach dieser sogenannten Analysesitzung sollte die Arbeit mit einem "echten" Coach weitergehen. Die KI erledigte ihre Arbeit gut, aber Düll berichtete im "Coaching Magazin" (1/2025) auch von folgenden Schwächen: Den von der KI entwickelten Anteilen fehlte im Vergleich zur bisherigen KI-freien Praxis eine gewisse Tiefe, weil die Fragen an den Klienten wenig präzise waren und auch nicht ausreichend nachgefragt wurde. In zehn Prozent der Fälle habe die KI ihre neutrale Haltung aufgegeben und eigene Vorschläge gemacht. Auch seien zu viele Fragen auf einmal gestellt worden, und die Klienten hätten sich nicht die Mühe gemacht, alle zu beantworten. Zwar komme die KI schneller zu einem brauchbaren Ergebnis, aber laut Düll ist es erforderlich, dass ein Mensch die erarbeiteten Ergebnisse überprüft. 

Fazit: "Die aktuelle Studienlage zur Wirksamkeit von KI im Coaching zeigt vielversprechende Ergebnisse", betont der Coaching-Verband ICF Deutschland in einer Stellungnahme Ende Januar 2025. Allerdings müsse noch eine weiterführende Forschung stattfinden. Immerhin zeigten Studien von Nicky Terblanche, dass KI-Coaching ohne Beteiligung eines menschlichen Coaches in bestimmten Bereichen wie Zielsetzung, Fortschrittsüberwachung und Reflexion vielen Berufstätigen rund um die Uhr eine effektive Unterstützung bieten könne. "Insgesamt zeigt die Forschung, dass KI-Coaching ein wirksames Werkzeug sein kann, wenn es ethisch, transparent und mit gutem Rahmen eingesetzt wird", so der ICF. Und Anke Paulick, President Elect, ergänzt: "KI im Coaching bietet zu viele Chancen, als dass sich dieser Ansatz nicht weiterverbreiten würde." 


Dieser Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 2/2025, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen. In der App finden Sie auch die aktuellen News rund um "neues lernen" und den Podcast für die betriebliche Lernszene. Kristina Enderle da Silva und Julia Senner hinterfragen im Podcast "neues lernen" aktuelle Lerntrends, liefern Fakten und geben Einblicke in die Unternehmenspraxis.


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Schlagworte zum Thema:  Coaching, Künstliche Intelligenz (KI)