Header Themenserie Mercer 5-2025

Neues Kultur- und Führungsverständnis in Skill-powered Organisationen


Skill-basierte Organisationen: neue Führungskultur nötig

In einer Skill-powered Organisation verschiebt sich der Fokus von starren Hierarchien und traditionellen Rollen zu einem dynamischen, kompetenzbasierten Ansatz. Dies bedeutet auch eine grundlegende Veränderung der Unternehmens- und Führungskultur. Führung muss sich von klassischen Machtstrukturen lösen und ein Umfeld schaffen, in dem Skills, kontinuierliches Lernen und Kollaboration im Mittelpunkt stehen.

Die Dynamik, mit der sich die Wirtschaftswelt verändert, stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen im Workforce Management. In den kommenden Jahren werden rund 170 Millionen neue Jobs entstehen, die es bis dato so nicht gab. Die Zahl der Technologie-Stellen wird dabei voraussichtlich am stärksten wachsen. Demgegenüber stehen jedoch auch 78 Millionen Jobs wie Verwaltungstätigkeiten und administrative Assistenzen, die verschwinden bzw. sich stark verändern werden, da hier zunehmend Künstliche Intelligenzen (KI) oder Technologien übernehmen. 

Wachsende Bedeutung von Skills im Unternehmen

In diesem Zusammenhang prognostizierte eine Studie des World Economic Forums schon 2023, dass rund 44 Prozent aller Mitarbeitenden bis 2027 neue Skills erlernen müssen. Skills werden damit zur neuen Währung der Arbeit.

Die Debatte um Skills geht aber über die Identifikation, Beschreibung und Befähigung zukunftsgerichteter Kompetenzen hinaus, und stellt weitergehende Anforderungen daran, wie Unternehmen organisiert, gesteuert und geführt werden. Es geht nicht nur um eine neue Währung, sondern eine neue Währungsordnung: Im Wettkampf um Talente und Kunden werden Unternehmen kompetenzbasiert – oder skill-powered.

Skills-powered Organisationen: Definition

Skill-powered Organisationen (SPO) zeichnen sich durch stark projekt- und aufgabenorientierte, fluide Strukturen aus, in denen Mitarbeitende basierend auf ihren Skills flexibel dort eingesetzt werden, wo sie den größten Mehrwert zu einem jeweiligen Zeitpunkt schaffen. Im Gegensatz zu traditionellen Modellen, die stark auf festgelegte Hierarchien und Karrierepfaden setzen, fördern SPOs den freien Fluss von Arbeitskraft im Rahmen interner Marktplätze. Karriere erfolgt nicht mehr rein horizontal, geknüpft an wachsende Personal- und Budgetverantwortung, sondern horizontal oder vertikal. 

Aus diesem Verständnis sind agile Organisationsmodelle populär geworden, die Raum für Verantwortlichkeiten und Möglichkeiten bieten, ohne Unternehmen ins Chaos zu stürzen. Doch in der Praxis zeigt sich, dass allein eine Re-Organisation oder ein agiles Modell zu kurz gegriffen ist. Eine Vielzahl an Unternehmen drehen Experimente der agilen Organisation zurück, da diese nicht den versprochenen Mehrwert geliefert, sondern in paradoxer Weise sogar zur Verlangsamung geführt haben - zum Beispiel durch Doppelstrukturen, vermeintlich klare Regelungen oder destruktive Ausnahmeregelungen. 

SPOs brauchen mehr. Eine SPO braucht im ersten Schritt ein neues Verständnis von Führung, Wert- und Machtverteilung, Verhaltensweisen und Mindsets, die den internen Markt ermöglichen. Der Wandel ist dabei im ersten Schritt kulturell basiert, nicht organisational. Um in der Währungsmetapher zu bleiben: Es geht um ein neues Wirtschaftssystem mit geteilten Grundprämissen, Verhaltensweisen und allgemein akzeptierten formellen- und informellen Regeln.

Neues Verständnis von Vertrauenkultur, Leistungskultur und Lernkultur

Nach Edgar Schein ist Unternehmenskultur ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung externer Anpassung und interner Integration gelernt hat, das sich bewährt hat und somit bindend gilt. Während dieses Muster basierend auf Unternehmenszweck, Werten und Strategie unterschiedlich sein kann, gibt es vier Paradigmenwechsel, die erfolgreiche SPOs durchzogen haben:

1. Von Delegation & Kontrolle zu Vertrauen & Selbstverantwortung

Um ihre Skills dort einzusetzen, wo sie den meisten Mehrwert stiften, brauchen Mitarbeitende einen Grad an Freiheit und das Vertrauen, ihre Fähigkeiten im Sinne des Unternehmenszwecks bestmöglich einzusetzen sowie einen Dialog auf Augenhöhe mit ihrer Führungskraft über Ziele, Aufwand, Zeitraum und Priorität.

2. Von Silos zu Skill-basierten Teams und Organisationen

Die Aufweichung der eindeutigen Bindung von Mitarbeitenden zu bestimmten Teams und Rollen stellt eine gewaltige Herausforderung dar. Purpose und der eigene Beitrag zum Unternehmenserfolg rücken in den Mittelpunkt. Die Erfahrung aus vielen SPOs zeigt jedoch auch: Eine Zugehörigkeit zu erfolgreichen Teams ist für die Bindung von Talenten unabdingbar und muss bewusst gepflegt werden.

3. Von Know-it-all zu Learn-it-all

Ob es die Verbesserung bestehender Skills oder das Erlernen neuer Skills ist: Stetiges Lernen wird imperativ für den Unternehmenserfolg. Im besten Sinne der Coopetition strebt jedes Mitglied der Organisation nach Erhöhung des eigenen Marktwertes durch die "Währung" Skills. Lernen braucht allerdings Zeit und Investition in individuelle Kompetenz. Unternehmen tun sich häufig noch schwer, Investitionen in "weiche" Skills zu tätigen. Der Ausweg ist eine gesamthafte Betrachtung (TCO): Was kostet mich das Fehlen eines Skills, was eine Neueinstellung etc.

4. Von Top-down-Leistungsbeurteilung zu multi-direktionalem Entwicklungsfeedback

In SPOs ist Leistung nicht mehr die Erfüllung der vom Job-Profil abgeleiteten Ziele. Auch wird die Zusammenarbeit breiter, kollaborativer und vielschichtiger und entzieht sich zum Teil der direkten Beobachtung der disziplinarischen Führungskraft. Kontinuierliches Feedback von allen Kollegen und Kolleginnen in der Zusammenarbeit ist damit die Grundlage der Weiterentwicklung und der Kulturschaffung, damit sich die gemeinsamen Grundprämissen verstetigen und bindend werden.

Auch Führungskräfte benötigen neue Skills

In der Skill-powered Organisation verändert sich die Rolle von Führung fundamental. Das betrifft sowohl die Führungsaufgaben, als auch die Machtverteilung und das Persönlichkeitsprofil der Führungskraft.

Neue Führungsrollen und Führungsaufgaben: In SPOs reduziert sich die Rolle der Führungskraft auf die disziplinarischen und administrativen Prozesse; hinzu kommt ein stärkerer Fokus auf die Koordination bei Auslastung und auf den richtigen Einsatz der eigenen Mitarbeitenden. Losgelöst hiervon wird die fachliche Führung primär von Fachexperten und Projektleitern übernommen. Hinzu kommt Entwicklungscoaching: Besonders jüngere und sich in Up- oder Reskilling befindende Mitarbeitende benötigen Unterstützung darin, ihren Weg in der SPO-Welt zu finden. Diese Aufgabe kann ebenfalls losgelöst von der disziplinarischen Rolle wahrgenommen werden. Führungskräfte brauchen entsprechend selbst neue Skills und müssen in diesen ausgebildet werden.

Neue Macht- und Ressourcenverteilung: Wo Skills zur Währung werden, verlieren an Headcount gebundene Budgets an Wert. Dies ist für viele Organisationen ein krasser Einschnitt in bestehende Organisations-, Steuerungs- und Machtprämissen. Fachexperten als Ausbilder und Wissensträger sowie Projektleitende als Auftraggeber werden aufgewertet. Um die richtigen Talente zu gewinnen und zu binden, muss sich dies auch in der Bezahlung und den Entwicklungschancen widerspiegeln. Diese Veränderung ist nicht nur arbeitsrechtlich und von einer Rewards-Perspektive herausfordernd, sondern stellt potenziell einen Angriff auf Selbstwert und Selbstverständnis der aktuellen Führungsmannschaft da. Diese in diesem Prozess nicht zu verlieren und disziplinarische Führung weiter attraktiv zu gestalten, sind Kernaufgaben der Veränderungsbegleitung.

Sicherstellung von Individual-, Team- und Projekterfolg: Die SPO braucht – zu einem strategisch-sinnvollen und klar definierten Grad – den freien Fluss von Arbeitskraft. Dies stellt Teamleads vor die Herausforderung, dass die Verfügbarkeit und der Zugriff auf eigene Teammitglieder nicht garantiert ist und ihre Verantwortungen und Aufgaben selbst Teil des internen Marktes werden. In der Realität ist neben der Sicherstellung des Alltagsgeschäfts auch Projektarbeit gefordert. Kontinuierliche Transformationen auf Team- und Organisationsebene sind Teil des Alltags. Eine disziplinarische Führungskraft ist somit für die Entwicklung ihrer Mitarbeitenden, die Gesamtleistung des Teams und die erfolgreiche Umsetzung von Veränderung zuständig, bei reduziertem Zugriff auf die eigenen Ressourcen. Dieser cognitive load erfordert ein anderes Persönlichkeitsprofil, als das des klassischen Managers, der sich durch Spezialisierung und Expertise zur Führungskraft qualifiziert hat.

Der Weg zur SPO erfordert Zeit und Konsequenz

Die Skill-powered Organisation bietet mit ihrer Flexibilität und Effizienz die nötigen Instrumente, um die Herausforderungen von VUCA-und BANI-Märkten zu meistern. Sie ist gleichzeitig aber kein Selbstläufer, sondern eine Herausforderung, die weit über die Definition von Skill-Profilen hinausgeht. 

Das Gute ist: In den meisten Unternehmen sind die hier skizzierten kulturellen Prämissen schon Alltag - zum Beipiel in der IT-Abteilung, in internen Transformations-Teams und/oder in-house Consulting Teams, in denen Individuen einen größeren Teil ihre Arbeit in Projekten verbringen. Diese Ansätze sind meist gute Startpunkte, um weiter zu skalieren.

In jedem Fall sollte die Einführung einer SPO bewusst und gezielt erfolgen: abgeleitet aus der Strategie, mit einem klaren Blick auf die bestehenden Fähigkeiten der Organisation und den Skills der Workforce, basierend auf einem bewussten Wandel von Unternehmens- und Führungskultur und der Erwartung, dass die Effekte dieser umfassenden Transformation Zeit und Konsequenz benötigen.


Zu den Autoren:

Nicole Peichl, Partnerin Mercer
Christoph Batzilla, Senior Principal Mercer
Christian Weiland, Principal Mercer