Dr. Fabian Schmitz-Herscheidt
Leitsatz
1. Das zuständige Hauptzollamt für Entlastungsanträge nach den §§ 9a, 9b und 10 des Stromsteuergesetzes sowie nach den §§ 54 und 55 des Energiesteuergesetzes richtet sich grundsätzlich nach dem satzungsmäßigen Sitz des Unternehmens. Dabei ist auf die kleinste rechtlich selbständige Einheit abzustellen.
2. § 26 der Abgabenordnung setzt voraus, dass die bisher zuständige Finanzbehörde mit der Bearbeitung des konkreten Verwaltungsverfahrens bereits begonnen hat. Die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit stellt kein solches Tätigwerden dar.
3. Die nach deutschem Recht bestehende Verpflichtung, strom- und energiesteuerrechtliche Entlastungsanträge bei der zuständigen Behörde zu stellen, verletzt nicht den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
4. Die Versagung einer Steuerentlastung verletzt nicht den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wenn mit dem Ablauf der Antragsfrist zugleich Festsetzungsverjährung eintritt.
Normenkette
§ 2 Nrn. 3 und 4, § 9a, § 9b, § 10 StromStG, § 54, § 55 EnergieStG, § 1 Satz 1, § 17a Abs. 1, § 17b Abs. 1, § 19 Abs. 1 StromStV, § 1a Satz 1, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 EnergieStV, § 26 AO
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes und verwendete Energieerzeugnisse zu Produktionszwecken. Dafür stellte sie regelmäßig Steuerentlastungsanträge nach den §§ 9a, 9b und 10 StromStG sowie nach den §§ 54 und 55 EnergieStG. Sie hatte mehrere Betriebsstätten und stellte die Anträge einheitlich bei dem nach ihrem Unternehmenssitz örtlich zuständigen HZA.
Im Jahr 2019 wurde die E-GmbH auf die Klägerin verschmolzen. Die Steuerentlastungsanträge für 2018 für den Betrieb der früheren E-GmbH, der nun eine Betriebsstätte der Klägerin geworden war, reichte die Klägerin am 20.12.2019 bei dem für die Betriebsstätte örtlich zuständigen HZA ein. Dieses HZA hielt sich aufgrund der Verschmelzung für unzuständig und übermittelte die Anträge dem nach dem Sitz der Klägerin örtlich zuständigen HZA. Dort gingen die Anträge jedoch erst am 24.1.2020 postalisch ein. Mit Bescheid vom 19.2.2020 lehnte dieses HZA die Anträge ab, da sie nach Ablauf der Antragsfrist eingegangen seien.
Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.5.2022, 1 K 1149/20, Haufe-Index XXXXXX). Das FG führte aus, die Steuerentlastung sei bei dem HZA zu beantragen, in dessen Bezirk der Antragsteller seinen Geschäftssitz habe. Im Streitfall sei der Antrag verspätet eingegangen, da die Antragsfrist am 31.12.2019 abgelaufen sei.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Unternehmen des produzierenden Gewerbes können sich die Steuer auf Strom und Energieprodukte, die sie zur Produktion einsetzen, unter bestimmten Voraussetzungen erstatten lassen.
a) Gemäß § 9a Abs. 1 StromStG wird die Steuer auf Antrag für nachweislich versteuerten Strom erlassen, erstattet oder vergütet, den ein Unternehmen des produzierenden Gewerbes für bestimmte Produktionsverfahren entnommen hat. Ebenso sehen §§ 9b ff. StromStG Stromsteuerentlastungen für Unternehmen vor.
b) Für die Energiesteuer sind Steuerentlastungen in §§ 54 ff. EnergieStG geregelt. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag gewährt für Energieerzeugnisse, die nachweislich versteuert worden sind und von einem Unternehmen des produzierenden Gewerbes oder von einem Unternehmen der LuF zu betrieblichen Zwecken verheizt oder in begünstigten Anlagen verwendet worden sind.
c) Der Erlass, die Erstattung oder die Vergütung wird nach § 17a Abs. 1 Satz 3 StromStV aber nur gewährt, wenn der Antrag spätestens bis zum 31.12. des Jahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Strom entnommen wurde, beim Hauptzollamt (HZA) gestellt wird. Entsprechende Tatbestandsvoraussetzungen enthalten § 17b Abs. 1 und § 19 Abs. 1 StromStV hinsichtlich der Entlastungsanträge nach §§ 9b und 10 StromStG sowie § 100 Abs. 1 und § 101 Abs. 1 EnergieStV für die Anträge auf Steuerentlastung nach §§ 54 und 55 EnergieStG.
2. Die örtliche Zuständigkeit des HZA für Entlastungsanträge wird in § 1 Satz 1 StromStV bzw. § 1a Satz 1 EnergieStV bestimmt.
a) Demzufolge ist das HZA örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus die in den einzelnen Vorschriften jeweils bezeichnete Person ihr Unternehmen betreibt.
b) Hierzu hat der BFH entschieden, dass ein Unternehmen grundsätzlich an seinem satzungsmäßigen Sitz betrieben wird.
c) Auf den Ort einer Betriebsstätte (im Streitfall im Nachgang einer Verschmelzung der Ort der früher dort ansässigen GmbH) kommt es hingegen nicht an. Für Betriebsstätten (§ 12 AO) besteht kein eigenes Antragsrecht.
d) Wurde der Antrag zunächst beim HZA am Ort der Betriebsstätte abgegeben und gibt dieses HZA den Antrag an das örtlich zuständige HZA weiter, ergibt sich eine örtliche Zuständigkeit des ersten HZA auch nicht aus § 26 AO (Zuständigkeitswechsel). Denn die Regelung des § 26 AO greift nur, wenn bereits eine inländische Finanzbehörde tätig geworden ist. Ein bei einer Behörde eingere...